Vor 65 Jahren wurden die ersten Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften in Neustrelitz gegründet. Ihre Mitgliederzahl wuchs schnell an. Mehr als 1500 Wohnungen entstanden bis 1990. Auch nach der Wende setzte die Genossenschaft – unter anderem Namen – ihre Arbeit fort. Wichtiges Ziel: bezahlbare Wohnungen für die 1651 Mitglieder.
von Heike Sommer | Nordkurier | 22./23. Januar 2022
Als die erste Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft in Neustrelitz gegründet wurde, mussten die Mitglieder noch regelmäßige Arbeitsstunden leisten, um dem Traum von einer Wohnung näherzukommen. Fast auf den Tag genau vor 65 Jahren – am 24. Januar 1957 – schlossen sich 22 Leute zur Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft „Ernst Kamieth“ zusammen. Die Initiative dazu ging damals von der Deutschen Reichsbahn aus. Namensgeber war der 1951 bei gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen im geteilten Berlin ums Leben gekommene Eisenbahner Ernst Kamieth. Nur wenige Monate später ging die zweite Arbeitergenossenschaft – die AWG „Strelitz Alt“ an den Start. Die staatlichen Forstbetriebe und die Technische Gebäudeausrüstung wollten damit einen Beitrag leisten, um die herrschende Wohnungsnot in der Stadt zu lindern. Die Moderne Wohnungsbaugenossenschaft Neustrelitz (MWG) erinnert dieser Tage an diese „Gründerzeit“ und somit auch an den Ursprung ihrer heutigen Existenz. „Das Jahr 2022 ist für die Moderne Wohnungsbaugenossenschaft Neustrelitz ein ganz besonderes“, sagt Dirk Walde, MWG-Vorstand.
Das Thema bezahlbarer Wohnraum ist offenbar ein zeitloses Thema. Damals wie heute wird nach Lösungen gesucht. Der Blick zurück zeigt allerdings auch, dass es um vieles leichter geworden ist, eine Wohnung zu bekommen. Wer sich 1957 den Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften anschloss, musste Wartezeiten bis zu zehn Jahren einrechnen. Dennoch wuchs die AWG „Ernst Kamieth“ binnen fünf Jahren auf 790 Mitglieder an. Eines mit der ersten Häuser, die in der Regie einer Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft in Neustrelitz entstanden, ist das Wohnhaus Alte Mühlenstraße 1 bis 5 – es folgten die Bauten an der Wilhelm-Stolte Straße in Alt Strelitz. Später wurde nicht mehr Stein auf Stein, sondern Platte auf Platte genossenschaftlicher Wohnraum hochgezogen – zumeist in Kiefernheide. Die Genossenschaften mussten sich zudem auch um die Schaffung von Kindergärten und Geschäften, um Straßenbeleuchtung und die Außenanlagen kümmern. Ab 1975 schlossen sich die beiden Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften sich unter dem Namen AWG „Ernst Kamieth“ zusammen. Bis zur deutschen Wiedervereinigung wuchs die Zahl der Mitglieder auf gut 1600 an. Die Genossenschaft nannte 1567 Wohnungen ihr Eigen. Am 31. Januar 1991 beschloss die Genossenschaft ihre Umbenennung in „Moderne Wohnungsbaugenossenschaft Neustrelitz eG“.
„Seitdem ist viel passiert. Der Großteil der Wohnhäuser wurde umfänglich modernisiert, das Umfelder neu- und umgestaltet, ein neuer Geschäftssitz gekauft und saniert. Um auch technisch für die Zukunft gerüstet zu sein, wurden alle Objekte mit Glasfaser ausgestattet“, zählt Dirk Walde auf. Der massive Leerstand, der dem politischen und wirtschaftliche Umbruch folgte, zwang die Genossenschaftler zum Abriss von Wohnungen. So ist zu verstehen, dass der MWG-Wohnungsbestand von 1567 auf 1341 schrumpfte. „Ganze WBS 70 Blöcke im Maxim-Gorki-Ring sowie obere Plattengeschosse im Pablo-Neruda-Ring wurden zurückgebaut, um die Pläne des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes Neustrelitz umzusetzen“, sagt Walde.
Von Abriss ist seit geraumer Zeit keine Rede mehr. Denn die Lage am Wohnungsmarkt hat sich gewandelt, die Nachfrage steigt. „Damit hat auch die einst geschmähte Platte wieder eine Zukunft, sofern man sie den jetzigen Wohnbedürfnissen anpasst“, ist der Vorstand überzeugt. Aufzüge und Balkone, Spielplätze und Grünanlagen sowie der Parkplatz vor dem Haus peppen die Platte auf. Zu besichtigen ist dieser Wandel in Kiefernheide.
„In Zukunft werden wir uns auf die energetischen Sanierung, barrierefreies Umbauen von Wohnungen, das Nachrüsten von Balkonanlagen und den Anbau von Aufzügen, die auf den jeweiligen Geschossebenen und im Keller halten, konzentrieren“, sagt Dirk Walde. Bereits in diesem Jahr starte die Komplex-Sanierung des Pablo-Neruda-Ringes 49-55. Weitere Blöcke werden in den nächsten Jahren folgen.
Bei allem stehe weiterhin der Gedanke im Vordergrund, bezahlbaren Wohnraum für die Genossenschaftsmitglieder – derzeit sind es 1651 – vorzuhalten. „Unsere Mitglieder schätzen zudem den guten Service im Tagesgeschäft und das familiäre Miteinander“, sagt Dirk Walde. Laut einer Mitgliederbefragung aus dem Jahr 2019 würden mehr als 96 Prozent die Genossenschaft weiterempfehlen.